Anita Kontrec: "Right & Wrong"Nach einer klugen Definition des amerikanischen Künstlers Carl Andre bedeutet Minimalismus, mit geringsten Mitteln möglichst große Wirkungen zu erzielen. In diesem Sinne ist das Multiple "Right & Wrong" von Anita Kontrec ein minimalistisches Werk par excellence. mehr
Die in Schreibschrift auf eine Plexiglasscheibe gedruckten englischen Wörter „right“ und „wrong“ sind so platziert, dass sie einander wie an einer unsichtbaren Achse gespiegelt gegenüberstehen, wobei eines der Wörter seitenverkehrt zu sehen ist. Der Gegensatz von richtig und falsch ist somit auch formal, in der Schreibweise, gegeben. Dabei hängt es ganz davon ab, von welcher Seite aus man auf das transparente Objekt blickt, ob das „richtige“ Wort richtig und das „falsche“ falsch (d.h. spiegelverkehrt) erscheint oder ob umgekehrt alles richtig falsch wird: „right“ verkehrt und „wrong“ korrekt... Diese kreuzweise Verklammerung von Inhalt und Form ist verwirrend und hält das Nachdenken in Gang. Doch damit nicht genug: das Ganze wäre bloß eine formale und semantische Spielerei, wenn die beiden Wörter nur selbstbezüglich auf die Art ihrer Schreibung verwiesen. Das Entscheidende aber ist, dass sie sich in ihrer prädikativen Funktion nicht eingrenzen lassen, sondern eine ganze Kettenreaktion von intertextuellen Bezügen und gedanklichen Schlussfolgerungen auslösen. Denn „richtig“ und „falsch“ sind fundamentale Kategorien unserer handelnden Orientierung in der Welt, mit denen wir (fast) alles im Leben bewerten. „Richtig“ oder „falsch“ können Sätze, Behauptungen, Handlungen, Ansichten, Theorien, ja unsere ganze Lebensweise sein. Wie viel existenzieller Ernst in dem Begriffspaar steckt, macht unmissverständlich jenes berühmte Wort aus Adornos Minima Moralia deutlich, das besagt, dass es kein richtiges Leben im falschen gebe.
Das Objekt von Anita Kontrec stellt alle starren Sinnfixierungen in Frage. Es deutet darauf, dass es immer auch eine Frage der Perspektive ist, was als richtig und was als falsch erscheint. Nichts ist bedrohlicher für jeden dogmatischen Dualismus als das perspektivische Relativieren des klaren Unterschieds zwischen richtig und falsch, schön und hässlich, gut und schlecht. Von den Hexen aus Shakespeares Macbeth und ihrem „fair is foul, and foul is fair“ bis hin zu Nietzsches Denken „jenseits von Gut und Böse“ ziehen sich die riskanten Manöver der „Umwertung aller Werte“ durch das europäische Denken. Doch Unterscheidungen zu relativieren heißt nicht, sie einfach zu negieren. Wir benötigen sie, um uns handelnd in der Welt orientieren zu können, und sehen zugleich, wie sie zu Instrumenten der Rechthaberei, Gewalt und Unterdrückung werden, sobald man sie verabsolutiert. Besonders bedenklich wird es, wenn sie vermeintlich höheren Werten geopfert werden. „Right“ und „wrong“ – aus diesem Stoff werden Ethiken gemacht, aber ebenso Ideologien und Fundamentalismen. Anita Kontrec macht daraus ein ebenso elegantes wie intelligentes konzeptuelles Kunstwerk, ein Perpetuum mobile des Sehens und Reflektierens. Es deutet mit einfachsten Mitteln an, dass sich die Wahrheit nicht mit dualistischen Begriffen einfangen lässt. Dazu ist absolute Wahrheit – wenn dieser Begriff überhaupt einen Sinn haben soll - viel zu komplex. Womöglich deutet die Kunst in eine Richtung, aus der die Wahrheitsfrage anders, jenseits begrifflicher Einengung, gestellt werden kann.
Peter Lodermeyer |
Text, Textur, Kontext. Kontrec.Auch was Schrift und Sprache betrifft, die in Kontrec’ Werk mehr oder minder offenkundig stets anwesend sind, gehört ihr besonders Interesse den archaischen Formen. mehr
Sie lässt sich ebenso von phönizischer Schrift oder den bildhaften Buchstabenformen der Glagoliza (des ersten slawischen Alphabets aus dem 9. Jahrhundert) wie von Schriftzeichen des Sanskrit inspirieren. Schrift ist für sie Mittel der Weltaneignung und -ausdeutung, Sinn und bildhafte Form, materieller Signifikant und magisches Zeichen. In Kontrec’ Werk durchlaufen die Buchstaben verschiedene Bedeutungsebenen und, damit verbunden, unterschiedliche Materialisationen wie etwa Papier, Gips, Ton, Stein, Bronze Gold und Kunstharz. In ihnen verdichten sich materielle Präsenz und immaterielle Bedeutung, Laut und Klang bei gleichzeitiger, oft vage anthropomorpher Figürlichkeit und plastischer Prägnanz. Kontrec’ Schrift-Bilder sind Palimpseste, welche die Simultaneität und Vielschichtigkeit von Sprache / Schrift / Kommunikation darstellen. Peter Lodermeyer |